Der Weihnachtszoff

Ein lauter Schrei zerriss die winterliche Stille rund ums Weihnachtsmannhaus. An den Dachrinnen erzitterten die Eiszapfen und die Schneehasen verkrochen sich in ihren Höhlen. Für die Nordpol-Bewohner war klar: Das konnte nur Frau Weihnachtsmann sein! Und wirklich, mit hochrotem Kopf und in die Hüften gestemmten Händen stand sie auf dem Hof und kochte vor Wut. Ihre Backschürze und das Nudelholz steckten wie Tannenbäume in einer Schneewehe. Und wenn man genau hinsah, erkannte man große Tapsen, die vom Haus weg in die umliegenden Berge führten.

Im Morgengrauen hatte sich der Eisbär in die Weihnachtsmann-Siedlung getraut. Auf leisen Tatzen war er durch die stillen Gassen und um die hübsch geschmückten Häuser geschlichen. Dann drang der Duft frischer Plätzchen in seine Nase und der Ärger nahm seinen Lauf. In Weihnachtsmanns Garage entdeckte er unzählige Bleche mit warmen Leckereien. Und nachdem er sich durch das offene Tor geschoben hatte, futterte er sich durch das Schlaraffenland. Er war gerade mit den Honigprinten fertig, als sich Schritte näherten, die Tür zum Wohnhaus aufschlug und Frau Weihnachtsmanns Schrei ihn aufschreckte. Der Eisbär schaffte es gerade noch wegzulaufen, sonst hätte ihn das Nudelholz am Hinterkopf erwischt und eine böse Beule verursacht. Verdient hätte er es ja. Was naschte er auch die frischgebackenen Plätzchen weg! Kein einziges hatte er übriggelassen.

Aber wer jetzt vermutet, dass Frau Weihnachtsmann auf den Eisbären wütend war, der irrt sich gewaltig. Das fliegende Nudelholz galt ihrem Mann, der verschlafen und verträumt, den Schlitten aus der Garage holte und dabei vergaß, das Tor abzuschließen. Schon zum dritten Mal in diesem Jahr! 

Der alte Weißbart bekam von alldem Ärger nichts mit. Er hatte sich seit Wochen auf die Ausfahrt mit dem neuen Schlitten gefreut. An diesem Morgen brach er besonders zeitig auf, um im weit entfernten Salzatal seine ersten Fahrmanöver auszuprobieren. Hier konnte er entlang des Flusslaufs der Saale im Slalom fahren, die sanften Berge bei Fienstedt und Johannashall hinaufgleiten und auf freier Strecke zwischen Beesenstedt und Müllerdorf richtig Tempo geben. Zum Schluss plante er Bremsübungen an den Abbruchkanten der Höhnstedter Weinberge und einen kleinen Belohnungs-Glühwein für sich und die Rentiere. 

"Schneller! Los Leute, Tempo!", feuerte der Weihnachtsmann seine Zugtiere nahe der Ortschaft Naundorf an, als plötzlich ein gellender Schrei wie ein tagheller Blitz durch die Winterluft schoss. Die Rentiere legten eine spektakuläre Vollbremsung hin und der Weihnachtsmann hatte großes Glück, nicht vom Schlitten zu stürzen. Sie wussten genau wer da rief und dass es nichts Gutes zu bedeuten hatte. Mit hängenden Ohren und im Sauseschritt flogen sie sofort wieder nach Hause, denn was auch immer es für Ärger gab, niemand wollte, dass er durch Trödelei und Zuspätkommen noch größer wurde. Der Weihnachtsmann wäre ja am liebsten im Salzatal geblieben und hätte sich versteckt. Aber das würde nicht helfen. Also setzte er sich aufrecht in den neuen Schlitten, hielt sich gut fest und steuerte mit schlechtem Gewissen das Gespann nach Hause. 

In eine dicke Winterjacke gehüllt und mit kleinen Eiszapfen an der Kapuze stand Frau Weihnachtsmann im Hof und wartete auf Mann und Rentiere. Als das Glöckchengebimmel in der Ferne zu hören und der Lichtschweif am Himmel zu sehen war, hatte sie sich alles genau überlegt. Ihr Mann würde eine Ausrede nach der anderen suchen. Aber damit milderte er den Ärger nicht, sondern machte es nur schlimmer. Diesmal würde ihr Schimpfen nicht ausreichen. Diesmal müsste er den Schaden wieder gutmachen und ihr beim Backen helfen. Auch wenn er das am wenigsten mochte. Er würde die aufwändigste Arbeit bekommen: das Verzieren!

Während sie sich noch vorstellte, wie die winzigen bunten Streusel durch die großen kräftigen Hände rollten und sich wie Sandkörner am Ostseestrand verteilten, bremste das Schlittengespann im Hof und der Weihnachtsmann sprang heraus.

„Liebling, du wirst es kaum glauben, der neue Schlitten ist der Wahnsinn!“, stürmte er auf sie zu und überschüttete sie mit technischen Details zu seiner Probefahrt. Er hoffte, sie mit seiner Begeisterung anzustecken. Doch es half nichts. Nach einigem Nicken, Lächeln und Nachfragen schob sie ihn zum Garagentor und erzählte von dem Drama, das sich in seiner Abwesenheit abgespielt hatte. Die Rentiere standen beim Schlitten und schüttelten die Köpfe. So etwas konnte auch nur ihrem Chef passieren. 

Der Alte versprach mit hängendem Kopf in Zukunft besser aufzupassen und nahm die Backstrafe reumütig an. Bis tief in die Nacht rollte er Teig und stach Plätzchen aus, schob Bleche in den Ofen und verteilte Zuckerguss und Streusel. Die Sonne kletterte schon langsam über die Berggipfel, als er endlich ins Bett kroch und von seiner abenteuerlichen Schlittenfahrt durchs Salzatal träumte. 

Die Plätzchen aber, waren in diesem Jahr die leckersten, die er jemals gegessen hatte. Kein Wunder, es steckte ja auch doppelt so viel Arbeit und Liebe darin!

Zum Weihnachtsfest war der Ärger wieder verflogen und Familie Weihnachtsmann lud den Eisbären zum Festessen ein. Sie schenkten ihm einen großen Beutel Plätzchen und er versprach, in Zukunft nicht zu stibitzen, sondern höflich zu fragen, dann würde er gewiss auch etwas abbekommen.

Habt ihr schon die andere Seite der Geschichte gelesen? Hier geht's zum "hungrigen Eisbären".

Ich wünsche allen Kindern und Erwachsenen im Salzatal ein wunderschönes Weihnachtsfest mit zauberhaften Momenten und spannenden Geschenken!