Willi, die Weinbergschnecke, und seine Freundin Astrid, die Wanderameise, lebten nach einer spannenden Reise seit fast einem Jahr in Egypten bei Höhnstedt. Eines Tages hörten sie von der Legende vom Schneckenkönig und damit begann ihr jüngstes Abenteuer.
Vor vielen Jahren soll es im Tal der Trauben eine bekannte Weinbergschnecke gegeben haben, deren Haus einmalig auf der ganzen Welt war. Wie Perlmutt glänzte es in der Sonne. Und es war das Einzige, dessen Spirale nach rechts und nicht nach links gedreht war. Weil alles seltene besondere Aufmerksamkeit erfährt, hielten die Tiere es für königlich und erklärten die darin wohnende Schnecke zum Schneckenkönig. Das seltene Schneckenhaus sei ein Schatz und würde denjenigen, der es findet, zum nächsten König machen.
Willi und Astrid waren Feuer und Flamme! Sogleich begaben sie sich auf die Suche, um die letzte Ruhestätte des Schneckenkönigs zu finden. Viele Tage lang drehten sie in Egypten jeden Stein um. Sie guckten unter jeden Busch. Aber sie fanden nichts. Erst als sie ein schmales Tal durchquerten, blitzte es metallen in den Brombeersträuchern. Sie liefen darauf zu und aus der Nähe trauten sie ihren Augen kaum. Vor ihnen war mitten im Berg eine alte Tür. Willi wollte schon den rostigen Riegel zurückschieben, als Astrid ihn stoppte. Ein riesiges Spinnennetz versperrte den Eingang und eine dicke fette Spinne saß wie ein Torwächter davor. Willi und Astrid brauchten eine Idee, um an der Spinne vorbeizukommen. Ihnen zu Füßen lagen viele bunte Kieselsteine. Die nahmen sie auf und warfen sie nacheinander in das Spinnennetz. Dort verfingen sich die Steine, wackelten hin und her und blieben hängen. Und der Trick klappte! Die Spinne war es gewohnt, dass sich leckeres Futter in ihrem Netz verfing, und krabbelte auf die Steine zu. Dadurch gaben die frischgewebten Spinnenfäden unter ihr nach, rissen auf und ein kleines Loch, gerade groß genug, um hindurchzuschlüpfen, tat sich auf. Willi und Astrid nutzten die Chance! Flink wie die Wiesel kletterten sie durchs Netz. Nur um sogleich vor der nächsten Herausforderung zu stehen: Die alte Tür ließ sich beim besten Willen nicht öffnen. Diesmal hatten sie aber mehr Glück. Im Schloss steckte ein verbogener Schlüssel! Und so brauchten sie ihn nur mit ganzer Kraft zu drehen und schon öffnete sich ein Spalt ins Dunkel des Berges. Willi und Astrid sahen darin unzählige dicke dunkelbraune Holzfässer. Wie sollten sie in der Finsternis das Haus des Schneckenkönigs finden? Ob der überhaupt jemals hier gewesen war?
Sie suchten jeden Winkel des alten Weinkellers ab, ohne auch nur einen winzigen Hinweis zu finden. Dann, in der hintersten Ecke, da wo der Lichtstrahl der halbgeöffneten Tür kaum noch hinkam, schimmerte ihnen etwas entgegen. Unter einem leeren Weinfass, verklemmt zwischen zahlreichen Kieselsteinen, steckte etwas Glänzendes. Willi und Astrid schoben und zogen, sie drückten und rückten so lange, bis das Fass sich ein winziges Stück bewegte. Da angelte Astrid mit ihren schmalen Ärmchen das Ziel ihrer Suche hervor: Das Haus des Schneckenkönigs war gefunden!
Doch oh je, jetzt rumorte und rumpelte es im ganzen Berg! Das Weinfass begann zu schaukeln und drohte die beiden Entdecker zu überrollen. Willi dachte nicht lange nach, er schob Astrid, die noch immer das Schneckenhaus trug, in das leere Fass und befahl ihr, sich gut festzuhalten. Im gleichen Augenblick setzte sich ihr Gefährt in Bewegung und schubste drei weitere Holzfässer an. Zu guter Letzt war der ganze Weinkeller ein einziges Donnern und Tösen als die alten Fässer schwungvoll die Tür aufstießen und wie eine Lawine ins Freie rollten. Die Wächterspinne am Eingang konnte gerade noch rechtzeitig beiseite springen. Ihr schönes Netz aber hielt die Wucht nicht aus und riss in tausend Stücke.
Astrid und Willi kamen mit ein paar Kratzern und blauen Flecken davon. Und das Haus vom Schneckenkönig schaffte es auch unbeschadet ins Licht.
Zu Königen hat es sie zwar nicht gemacht, aber seitdem ziert es das Zuhause unserer zwei Helden. Und jedem, der sich dafür interessiert, zeigen sie es gern und erzählen dazu die Geschichte seiner Entdeckung.
© Tina Kaltofen. Alle Rechte vorbehalten.