Vor einigen Jahren gab es einmal einen ganz besonderen Weihnachtsabend im Salzatal. Kühle Winde wehten übers Land und aus trüben Wolken fiel der Nieselregen. Die Welt schien eingehüllt in ein tristes graues Nebelmeer. Niemand verließ ohne triftigen Grund sein warmes Haus, das in allen Ecken nach süßen Plätzchen und frischem Tannengrün duftete. Die Kinder blickten mit Sorgenfalten auf die Uhrzeiger, die langsam übers Ziffernblatt schlichen. Wann kam denn nun endlich der Weihnachtsmann? Ob er sie dieses Jahr überhaupt finden und beschenken würde?
Hoch über den Hausdächern und Baumwipfeln war der Nebel so dick wie Pudding. Die Vögel schliefen längst in ihren Nestern. Auch hier oben war niemand mehr unterwegs bei dem ungemütlichen Wetter. Doch halt, das stimmt nicht! Ein paar Kilometer südöstlich rollte ein Flugzeug über die Startbahn und verschwand einen Atemzug später in der grauen Nebelsuppe. Und noch jemand war unterwegs: Der Weihnachtsmann und seine Rentiere! Mit ihrem vollgepackten Schlitten verteilten sie seit Stunden die Geschenke. Aber obwohl Rudolph und seine Artgenossen einen hervorragenden Orientierungssinn hatten, mussten sie sich in diesem Jahr sehr anstrengen, um den Weg ins Salzatal zu finden.
Plötzlich durchzuckte ein gleißender Lichtstrahl den Puddingnebel und ohrenbetäubender Lärm übertönte das Glöckchenklingeln. Die Rentiere erschraken fürchterlich! Was war das? Gab es hier etwa fliegende Ungeheuer? Hilfe! Mit einem Mal tauchte dicht neben ihnen die riesige Flugzeugnase auf. Mit weit aufgerissenen Augen blickten die Passagiere durch die Bullaugenfenster. Unsere Rentiere verloren vor Schreck jegliche Orientierung! Der Schlitten schwankte gefährlich. Mit kräftigen Rufen versuchte der Weihnachtsmann seine Helfer zu beruhigen. Aber es war schon zu spät. In hohem Bogen flogen die Geschenke vom Schlitten. Rentiere und Weihnachtsmann wirbelten durcheinander und stürzten den bunten Paketen hinterher. Als das Flugzeug längst in den Wolken verschwunden war, da purzelten Weihnachtsmann, Rentiere, Schlitten und Geschenke auf einem Feld im Salzatal zu Boden. Autsch, das tat weh! Ein Rentier hatte sich den Huf verstaucht. Einem anderen war ein Stück vom Geweih abgebrochen und der Schlitten war ganz hinüber. Gottseidank ging es dem Weihnachtsmann und den Geschenken gut!
Doch was sollten sie jetzt tun? Zu Fuß würden sie ihre Aufgabe nie zu Ende bringen?
Während alle angestrengt nachdachten, leuchtete auf einmal Rudolphs Nase so rot wie ein Feuermelder auf. Das Rentier begann wie ein Fährtenhund umher zu schnuppern. Die anderen folgten ihm dichtauf. Da fanden sie an einem verlassenen Bahnhof eine alte Lokomotive. Und in der Nähe stand ein ausgedienter Eisenbahnwagon im Gebüsch. Der Weihnachtsmann dachte kurz nach. Dann fragte er, ob Rudolph mit seiner Nase auch nach Schienen suchen kann. „Klar, kein Problem Chef!“, war die rettende Antwort. Nun weihte der Weihnachtsmann die Rentiere in seinen verrückten Plan ein: Er hatte von einer stillgelegten Bahnstrecke gehört, die quer durchs Salzatal von Halle bis nach Hettstedt führte. Ein Teil der Brücken und Schienen sei wohl noch vorhanden. Sie würden die Geschenke in den Eisenbahnwagon laden und mit der Lok auf der alten Bahnstrecke zu den Kindern fahren. Mit Sternenstaub könnten sie sich behelfen, wenn an manchen Stellen die Schienen fehlten.
Die Rentiere waren skeptisch. Aber weil ihnen auch keine bessere Idee einfiel und die Zeit drängte, stimmten sie zu.
Die alte Lok bekamen sie mit weihnachtlichem Zauber schnell wieder funktionsfähig. Und als alle Geschenke und Rentiere im Wagon eingeladen waren, begann die abenteuerliche Fahrt. Der Weihnachtsmann hatte im Führerstand Platz genommen und Rudolph saß ganz vorn auf der Lok, hielt sich am Schornstein fest und reckte seine rote Nase in die Höhe. Damit konnte er die Schienen der alten Halle-Hettstedter-Bahnstrecke gut erkennen. Vom Weihnachtsmann hatte er einen Beutel Sternenstaub. Und jedes Mal, wenn er eine Lücke entdeckte, pustete er ein paar Staubkörner vor sich her, die flugs als glitzernde Gleise die Strecke wieder vervollständigten.
Die Rentiere im Wagon hatten alle Hufe voll zu tun, die Geschenke in der richtigen Reihenfolge beim richtigen Haus abzuwerfen. Aber als sie ihren Rhythmus erstmal gefunden hatten, da sausten die Pakete nur so durch die Luft.
An diesem besonderen Weihnachtsabend war es nicht still und andächtig im Salzatal. Nein! Mit lautem Klingeln, Rattern und Hupen, halb fahrend und halb fliegend, brachten der Weihnachtsmann und seine Helfer die Geschenke zu den Kindern. So mancher Spaziergänger, der mit dem Hund nochmal vor die Tür musste, traute seinen Augen kaum und staunte nicht schlecht über das weihnachtliche Getöse.
Auch beim Weihnachtsmann klappt nicht immer alles wie am Schnürchen. Aber mit einer Prise Neugier, etwas Mut und einer guten Idee weiß er sich immer zu helfen.
Und wer weiß, vielleicht kommt er ja dieses Jahr auf einem Elefanten geritten?!
Ich wünsche allen Kindern und Erwachsenen im Salzatal ein wunderschönes Weihnachtsfest mit zauberhaften Momenten und spannenden Geschenken!
© Tina Kaltofen. Alle Rechte vorbehalten.