Die Salzataler Riesen: Das Würfelspiel von Krimpe

Das einzige Problem mit den Riesen war ihr Riesenhunger. Ständig brauchten sie zu essen. Nie wurden sie richtig satt. Wären beide gleichzeitig auf die Jagd gegangen und hätten sich an Obst, Gemüse und Getreide bedient, dann wäre nicht das kleinste Krümelchen übriggeblieben.

Die zwei hatten dafür eine prima Lösung. Jeden Monat trafen sie sich in der Nähe des Örtchens Krimpe. Da gab es eine Stelle, wo weit und breit kein Haus und Hof stand. Unter einem Lindenbaum lagen sechs annähernd gleichgroße Hinkelsteine. Mit eingedrückten Nägeln hatten die Riesen auf ihnen die Augenzahlen von eins bis sechs markiert, so dass die Steine wie Würfel aussahen. Ein Mal im Monat trafen sie sich und würfelten aus: Wer durfte die Fische aus der Saale fangen? Wer die Rehe im Wald jagen? Wer das Obst ernten? Und wer sich im großen See waschen? Die Menschen und Tiere wussten genau, wenn es an einem wolkenklaren Tag rumpelte und donnerte, als würde ein Unwetter hereinbrechen, dann saßen die Riesen wieder beisammen und warfen die Würfel.

Eines Tages, die beiden waren mitten im Würfelspiel, da ließ sich der eine auf einem Erdhügel unter dem Lindenbaum nieder. Er dachte, es sei ein gemütlicher Platz. Aber weit gefehlt! Der Riese sprang sofort wieder auf, rannte im Kreis, jaulte schmerzvoll und warf die Würfel wie Kieselsteine von sich. Der Arme hatte sich in einen Ameisenhaufen gesetzt und nun brannte und juckte sein Hinterteil wie Feuer! 

Der andere Riese fragte seinen Kumpel, was denn los sei. Und als er sich den vermeintlichen Erdhügel näher ansah, da passierte das nächste Unglück. Der Erste taumelte vorbei und stieß ihn aus Versehen an. Da geriet der Zweite ins Wanken und fiel kopfüber in den Ameisenhaufen. Nun sprangen, schrien und jaulten beide Riesen aufgeregt umher.

Ihre Hinkelstein-Würfel waren vergessen. Vier lagen reihum unter dem Lindenbaum. Die zwei anderen hatte unser Pechvogel so weit weggeschleudert, dass einer erst beim Nachbarort Räther und der andere auf einem Hügel bei Höhnstedt liegen blieb. Die Riesen waren inzwischen zur Saale geflitzt. Sie wollten im kühlen Wasser ihre Schmerzen stillen. Das half aber nur vorübergehend. Und als sie im Flusswasser ihre Spiegelbilder sahen, ereilte sie der nächste Schreck. Dem einen war der Kopf und dem anderen das Hinterteil so sehr angeschwollen, dass sie fürchterlich erschraken. Mit ohrenbetäubendem Gejammer und Geheul rannten sie fort. 

Gerüchten zufolge liefen sie bis ins hunderte Kilometer entfernte Riesengebirge zu ihrem Onkel Rübezahl. Der hat sie mit Wunderkräutern aus seinem geheimen Garten von ihren Wunden und Schmerzen befreit. Im Salzatal wurden sie nie wieder gesehen. Nur ihre Würfel liegen heute noch genau da, wo sie gefallen sind: an einer Straßenkreuzung bei Krimpe, an einem Feldweg bei Räther und am Rande einer Obstplantage bei Höhnstedt.