Das Himmels-Observatorium von Lieskau
 

Vor vielen Jahren hatten die Lieskauer Gnome ein mächtiges Problem. Sobald sich ein Gnom hinlegte und sein Hinterkopf den Boden berührte, fielen ihm sofort die Augen zu. Eigentlich wollten sie die Sonne und die Wolken, den Mond und die Sterne beobachten. Doch jedes Mal, wenn sie sich hinlegten um in den Himmel zu schauen, schliefen sie ruck zuck ein. 

Eines Tages versperrte eine große glitzernde Regenpfütze einem kleinen Gnom den Weg. Er versuchte auf Zehenspitzen um die Pfütze herum zu balancieren. Plötzlich geriet er ins Schwanken, verlor fast das Gleichgewicht und musste sich weit über die Pfütze beugen. Sein Spiegelbild blickte ihn erschrocken an! Doch was war das? Oben am Rand der Pfütze sah er die weißen Tupfen der Wolken und den runden Sonnenball, der sich hinter ein paar dünnen Wolkenfäden versteckte. Er konnte die Wolken und die Sonne sehen, ohne sich auf den Rücken zu legen und einzuschlafen! Was für eine fantastische Entdeckung!

Schnell bestaunten alle Lieskauer Gnome das spannende Spiegelbild in der Pfütze. Den kleinen Erfindern tobten sogleich unzählige schlaue Ideen durch die Köpfe: Eine viel, viel größere Pfütze musste her! Eine Pfütze mit so viel Wasser, das es nicht im Erdreich versickerte. Rund um die Riesen-Pfütze herum müsste es steile Hänge geben, mit Büschen und Bäumen als Sitzplätze für die Gnome. So wäre es möglich, in der Spiegelung des Wassers den Himmel zu jeder Tageszeit zu betrachten, ohne auf dem Rücken zu liegen und einzuschlafen. Ein passender Ort dafür war schnell gefunden: die verlassene Tongrube am Rande von Lieskau! 

Die Idee vom großen gemeinsamen Himmels-Observatorium verbreitete sich schnell. Wild entschlossen und voller Tatendrang schaufelten die Gnome los. Nach kurzer Zeit war in der tiefen Tongrube ein noch tieferes Loch entstanden, das sich schnell mit Grundwasser füllte. Unsere Gnome hatten Glück und das Wetter war auf ihrer Seite: Als sie fertig waren, setzte ein Dauerregen ein, der drei Tage und Nächte anhielt. Im Nu füllte sich ihre große Grube. Und je mehr Wasser sich darin sammelte umso klarer wurde es und umso blauer schimmerte es. Am Steilufer pflanzten sie schnellwachsende Bäume, Büsche und Sträucher, in denen für alle Gnome herrlich gemütliche Sitzplätze entstanden.

Es gab ein großes Fest zur Einweihung des imposanten Bauwerks, bei dem der kleine Gnom, der in der Pfütze als erster die Spiegelung entdeckt hatte, dem Wasserloch einen Namen geben durfte. Und weil er, wie Gnome nun mal sind, ganz praktisch veranlagt war, taufte er es auf den Namen: „Blaues Auge“.

Auch unter den Menschen verbreitete sich der Name „Blaues Auge“ schnell und es wurde ein beliebtes Ausflugsziel für Spaziergänge, zum Picknicken oder für Badeausflüge. 
Jetzt wisst ihr aber auch, warum es so wichtig ist, keine Sträucher umzutreten, Äste abzuknicken oder Büsche auszureißen, sondern sorgsam auf den Wegen zu bleiben. Denn sonst würde man ja einem Gnom seinen Sitzplatz zerstören und die Erdgeister verärgern!
Wenn wir Menschen am „Blauen Auge“ ganz leise sind und geduldig abwarten bis die Wasseroberfläche glatt wie eine Glasscheibe ist, dann kann es sein, das in der Nähe ein Gnom sitzt und in der Spiegelung des Wassers den Himmel betrachtet.