Der Fund am Saaleufer

Auf dem Bierhügel bei Salzmünde lebten einst die Trolle. Sie waren sehr neugierig, machten die Gegend unsicher und sorgten für Verwirrung.

Eines Tages spazierten sie am Saaleufer entlang und kam am alten Fähranleger vorbei. Hier sahen sie, hinter einem dicken Busch, einen gemütlich eingerichteten Sitzbereich. Doch etwas war seltsam: Es steckten Stöcke in der Erde mit langen Fäden an den Spitzen, die in einiger Entfernung ins Wasser hingen. Was war das bloß? Hatte hier jemand Fallen aufgestellt? Die Trolle versteckten sich im Gebüsch und beobachteten den Ort aus sicherem Abstand. Aber außer einem Schwarm frecher Kohlmeisen kam niemand vorbei. Da beschlossen sie, die seltsamen Stöcke auszuleihen. Zuhause begannen sie gleich, die Geräte eingehend zu untersuchen.

Ein Troll versuchte, damit umzugraben. Doch so sehr er sich auch anstrengte, außer einigen Löchern und Kratzern im Erdboden kam nichts Sinnvolles dabei heraus. Ein anderer wollte damit den alten Flugdrachen, der seit dem letzten Herbst in den Baumwipfeln hing, herunterholen. Doch der Faden verhedderte sich in den Zweigen und sie mussten mühsam auf den Baum klettern und ihn entknoten. Dabei bewegte sich der Drache kein Stück. Am Ende des Fadens war ein spitzer kleiner Haken, an dem sich einige Trolle mächtige Kratzer holten. Nein, sie hatten einfach keine kluge Idee, wozu man die Stockfäden verwenden könnte.

Da schlug ein Troll vor, zurück zum Ufer zu gehen und andere zu beobachten. Vielleicht benutzte gerade jemand ein ähnliches Gerät. Das war eine gute Idee! Die Trolle brachen sogleich auf und verteilten sich am Salzmünder Saaleufer. Und es dauerte nicht lang, da sahen sie zwei Männer, die ganz ähnliche Stöcke über ihre Köpfe schwangen, so dass die Fäden weit draußen in den Fluss fielen. Nach einer Weile zappelte es an der Wasseroberfläche. Die Männer zogen an den Stöcken und siehe da, an den spitzen Haken hingen Fischlein, die sie dann behutsam aus dem Wasser zogen. Jetzt hatten sie den Zweck der Geräte verstanden! 

Nachdem die Männer weg waren, versuchten es die Trolle selbst. Sie warfen und zogen und warteten. Aber nichts passierte. Vielleicht waren ihre Stöcke kaputt? Hatte man sie deshalb am Ufer zurückgelassen?

Mit hängenden Köpfen liefen sie wieder nach Hause. Doch jetzt hatte sie der Ehrgeiz gepackt. Sie wollten unbedingt Fische aus dem Wasser angeln, so wie die Menschen. Also tüftelten und bastelten sie an den Stockfäden herum. Sie bauten sie nach und experimentierten. Unterschiedliche Holzarten, Fadenlängen und Spitzhaken kamen zum Einsatz. Zwischendurch liefen sie immer wieder zum Fluss und probierten ihre Bauwerke aus. Wie die Zeit verging: Inzwischen war ihr Fund schon ganze zwei Wochen her. Und eines Tages baumelte der erste Fisch an ihren selbstgebauten Angeln! Vor lauter Freude vergaßen sie, den Faden einzuholen, und das Fischlein konnte eilig das Weite suchen. Von da an war das Anglerglück auf ihrer Seite. Mit etwas Geduld hatten sie bei jedem Versuch Erfolg und platzten beinahe vor Stolz auf ihre Konstruktionen.

Nun war es für die Trolle an der Zeit, die geborgten Stöcke zurückzugeben. Sie liefen mit ihnen zum Fundort und wollten sie am Ufer ablegen. Zugleich hatten sie einige ihrer selbstgebauten Angeln als Geschenke dabei. Aber als sie aus dem Gebüsch traten, standen drei überraschte Kinder vor ihnen. Für einen Augenblick war es mucksmäuschenstill, dann brüllten und tobten und schimpften die Kinder auf sie ein. Garstige Diebe, gemeine Mistkerle und noch viel Schlimmeres bekamen die Trolle zu hören. Die Kinder hatten nun endlich die Räuber erwischt, die ihre Angeln geklaut hatten.

Die Bierfass-Trolle stotterten vor Schreck. Über ihre runden Gesichter kullerten die Tränen, als sie erklärten, dass sie die Stockfäden nur ausleihen wollten. Sie zeigten den Kindern ihre eigenen Erfindungen und baten an, sie auszuprobieren. Die Kinder blickten einander skeptisch an. Dazu schüttelten sie die Köpfe und verschränkten argwöhnisch die Arme vor der Brust. Das kann ja jeder sagen, dass er die Angeln nur mitgenommen hat, um sie nachzubauen und zu verbessern. Die Geschichte der Trolle war schwer zu glauben.

Doch die Neugier war stärker. Die Kinder hoben die Ruten auf, wogen sie in den Händen und betrachteten jedes Detail. Dann holten sie weit aus und schwangen die Leine hinaus aufs Wasser. Und es dauerte nicht lang, da zappelten schon die ersten Fischlein am Haken. Die Troll-Angeln waren wirklich prima! Den ganzen Nachmittag verbrachten Trolle und Kinder am Fluss. Sie fachsimpelten über ihr gemeinsames Hobby, angelten wie die Weltmeister und freundeten sich an. 

Von da an traf sich die Gruppe regelmäßig und baute zusammen immer bessere Angelstöcke. Ach, und nur dass ihr’s wisst: Die Fischlein, die an den Haken zappelten, wurden alle wieder ins Wasser geworfen. Kein einziges kam dabei zu Schaden. Man hätte fast denken können, dass sie zum Spiel gehörten.