Der Burg-Kürbis von Kloschwitz

Im Herbst, wenn das Jahr sich langsam dem Ende neigt, sind die Menschen dankbar für die Ernte und blicken zurück auf ihre Heiligen und Verstorbenen. Auch im Salzatal werden Lichter angezündet, Feste gefeiert, Kürbisse ausgehöhlt und Laternen gebastelt. Für die Kürbisse ist es seit jeher eine große Ehre, die Menschen im Herbst satt zu machen und ihnen den Weg durch die aufsteigende Dunkelheit zu weisen. 

Ein Mal gab es aber einen kleinen Kürbis, der sich gar nicht auf die Erntedankzeit freute. Er weigerte sich, ausgehöhlt zu werden. Er wollte nicht als Suppe enden. Und beim Gedanken an die Kerze, die in seinem Bauch flackern sollte, wurde ihm mulmig. Er hatte Angst vor dem Feuer.

Den kleinen Kürbis hatte man gemeinsam mit seinen Verwandten geerntet und auf eine alte Burg bei Kloschwitz gebracht. Dort lagen sie zu einem Haufen aufgetürmt und warteten auf ihren Auftritt. Der Kleine wollte aber viel lieber weiterwachsen, groß und kräftig werden und die Umgebung entdecken.

Eines Morgens weckte ihn aufgeregtes Gewisper aus dem Schlaf. Die Schnitzmesser waren im Anmarsch und im Kürbisberg wollte jeder zuerst dran sein. Es entstand ein wildes Geschubse und Gedränge. Der Kürbis nutzte die Aufregung und ließ sich von einem anderen kräftig anschubsen. Dadurch kam er ins Rollen und kullerte über den Burghof, geradewegs zum Burgtor hinaus. Niemand bemerkte in dem Gewusel seine Flucht. 

Der kleine Kürbis jauchzte vor Freude, doch dann wurde ihm klar, dass er sich in der Gegend nicht auskannte. Eine Tagesreise mit dem Pferdefuhrwerk hatte ihn in die Burg gebracht. Und so wusste er nichts von der steilen Holztreppe namens Himmelsleiter, die geradewegs vom Burgtor den Berg hinab in die Saale führte. Er rollte ahnungslos auf die Treppe zu. Unbemerkt von allen Augen polterte er Stufe für Stufe in einem Affentempo den Burgberg hinunter. Autsch, der Weg in die Freiheit tat ganzschön weh! Doch das sollte nicht die einzige Überraschung sein. Unten angekommen hatte er viel zu viel Schwung. Er konnte nicht anhalten und raste auf das Saaleufer zu. Der Kleine hatte inzwischen jegliche Orientierung verloren. Oben und unten, links und rechts, alles war gleich. Und wenn das nicht schon schlimm genug wäre, hörte er ein ohrenbetäubendes Rauschen, das lauter und lauter wurde. Der große Fluss kam immer näher. 

Da hörte das Rollen und Kullern mit einem Mal auf! Der kleine Kürbis spürte zwei Hände auf seiner Schale. Er wurde gepackt und hochgehoben. Oh weh, sollte er doch noch als Backzutat und Feuerlaterne enden? 

Da sah ihn ein freundliches Kindergesicht an und fragte: „Wo kommst du denn her?“

„Ich bin vor dem Schnitzmesser abgehauen und den Berg hinuntergerollt,“ antwortete der Kürbis, „weil ich nicht ausgehöhlt und als Laterne benutzt werden möchte.“

„Aber im Fluss unterzugehen ist auch keine gute Idee!“, gab das Kind zurück, „Erzähl mal, was möchtest du denn?“

Und während der Kürbis sein Herz ausschüttete, hatte das Kind schon eine Idee, wie es ihm helfen konnte. Zuerst legte es ihn in einen Korb und trug ihn behutsam wieder zur Burg hinauf. Dann nahm es ein Stück Kohle und zeichnete zwei freundliche Augen, eine Nase und einen lachenden Mund auf die leuchtend orangene Schale. Zum Schluss suchte es dem kleinen Kürbis einen wettergeschützten Platz auf der Burgmauer, von wo aus er einen herrlichen Ausblick hatte. Das Kind besuchte seinen Kürbis-Freund von da an jeden Tag und sie beobachteten gemeinsam die Jahreszeiten im Saaletal.

Die Burg steht zwar schon lange nicht mehr auf dem Berg bei Kloschwitz. Aber im Herbst, wenn die Ernte gefeiert und an die Verstorbenen und Heiligen gedacht wird, da kann man auf dem Burgberg manchmal die zwei Freunde miteinander reden hören.