Es war ein Mal ein höllisch heißer Sommertag, an dem nicht das kleinste Lüftchen wehte. Die Sonne warf ihre Strahlen mit voller Kraft auf die Erde und jeder suchte nach Abkühlung. Da trafen an einer Uferböschung der Saale nahe Schiepzig die Tiere der Umgebung aufeinander. Sie alle sahen sich argwöhnisch an. Zum Streiten und Kämpfen waren sie bei der Hitze aber viel zu erschöpft. Und so stieg kurzerhand eins nach dem anderen ins Wasser und kühlte sich ab. Es dauerte nicht lange, da konnte man von Weitem ihr Jubeln und Jauchzen, ihr Plitschen und Platschen hören. Die Tiere, die sich sonst in großem Bogen aus dem Weg gingen, genossen an diesem Tag das gemeinsame Bad in vollen Zügen.
„Hilfe, Hilfe, meine Schwester ertrinkt!“, eine aufgeregte Kinderstimme zerriss die friedliche Idylle. Ein junges Reh war zu weit hinaus gepaddelt und wurde von der starken Unterströmung erfasst. Es zappelte und strampelte mit den Beinen, doch sein Kopf tauchte immer wieder unter Wasser. In Windeseile holten die übrigen Tiere ihre Kinder aus dem Fluss. Dann standen sie verschreckt am Ufer und jammerten voller Sorge. Sofort wollten sich die erwachsenen Rehe in die Fluten stürzen und dem Kleinen zu Hilfe eilen.
„Nein, tut das nicht! Die Strömung ist zu stark! Sie wird euch fortreißen!“, riefen die Biber. „Wir leben hier am Ufer. Wir kennen den Fluss. Die Strömung ist zu gefährlich!“
Eine Gruppe Biber sprang flink ins Wasser und tauchte ab. Für einen Moment waren sie im tiefen Blau der Saale verschwunden. Kurz darauf tauchten sie links und rechts neben dem Ertrinkenden wieder auf. Je zwei Biber stützten das Rehkind von beiden Seiten. Das streckte mit weit aufgerissenen Augen den Kopf über Wasser, hustete kräftig und atmete die kostbare Luft in seine Lungen. Die Retter packten es unter seinen vier Beinen und zogen es rücklings durch den Fluss. Am Ufer hatte das Publikum den Atem angehalten. Es war mucksmäuschenstill. Alle Augen verfolgten gebannt das Rettungsmanöver. Mit kräftigen Schwimmzügen erreichte die Bibergruppe den Strand. Dort legten sie das Reh behutsam ab. Zum Glück war das Kleine mit dem Schreck davongekommen. Die Tiere bejubelten die tapferen Rettungsschwimmer und klopften ihnen mit Lob und Anerkennung auf die Schultern.
Das Ereignis hatte die Tiere sehr verunsichert. Zögerlich blickten sie aufs Wasser. Niemand traute sich mehr hinein.
Die Ältesten der Tierarten setzten sich zusammen. Alle wollten die Badestelle weiter nutzen, doch die Angst zu ertrinken, schwamm jetzt immer mit. Sie trafen eine Vereinbarung, die von nun an für jeden galt: Die im Wasser erfahrenen Biber erklärte man zu offiziellen Rettungsschwimmern. Sie passten auf und halfen, wenn jemand in Gefahr geriet. Zum Dank erhielten sie eine Wiese hinter der Uferböschung. Dort richteten sie mit Sonnenstühlen und Schirmen eine gemütliche Liegewiese ein. Zuerst war es nur der Treffpunkt der Biber. Sie ruhten sich aus, plauderten und trockneten dabei ihr nasses Fell in der Sonne. Mit der Zeit tummelte sich eine bunte Gästeschar auf den Liegeplätzen. Und weil der Andrang ebenso groß war, wie der Durst, kamen die kleinen Pelzträger auf eine geschäftstüchtige Idee: Sie bauten gleich nebenan einen Ausschank und mixten ihren Besuchern leckere Sommer-Cocktails mit Schirmchen.
Die Anwohner und Spaziergänger am Saaleufer beobachteten das friedliche Treiben mit gebührendem Abstand. Mit der Zeit sprach es sich überall herum und der Ort prägte sich unter dem Namen „Biberwiese“ bei allen ein.
Noch heute nutzen die Tiere das Strandbad an heißen Tagen. Wer still und geduldig ist, begegnet hier mit etwas Glück den Rettungsschwimmern von Schiepzig und kann das tierische Planschen mit eigenen Augen sehen.
© Tina Kaltofen. Alle Rechte vorbehalten.